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Portrait: Initiative SOS Bihać in Bihać/Bosnien und Herzegowina

Aktualisiert: 13. Aug. 2020


Ein kurzes Porträt der kleinen, großartigen Initiative SOS Bihać in Bihać/Bosnien und Herzegowina.

SOS Bihać ist jetzt anerkannt von der IOM (Internationale Organisation für Migration).

Dazu gibt es im Anschluss einen aktuellen Bericht von Dirk Planert. Sie haben sicher von ihm gehört. Der Dortmunder, der sich unermüdlich in dieser Grenzregion für die flüchtenden Menschen einsetzt. Er erzählt von seiner Arbeit, über SOS Bihać - und von seinem pakistanischen Freund und dessen Beweggründen, in Europa leben zu wollen.

An der bosnisch-kroatischen Grenze ist eine geniale Hilfsorganisation aktiv. Sie macht einen Riesenunterschied in diesem traurigen Chaos, ohne sie wäre alles noch viel schlimmer.

Die Stadt Bihać ist einer der Orte an unseren EU-Außengrenzen, wo sich die Lage für die Menschen auf der Flucht zu einem Desaster entwickelt hat. Und das spielt sich ganz in unserer Nähe ab – eine kurze Autofahrt von Süddeutschland entfernt oder ein Eineinhalb-Stunden-Flug von Köln, wie man will.

Aufgrund des Virus und auch aus politischen Gründen ist keine europäische Hilfsorganisation mehr vor Ort. Selbst der Hardliner Dirk Planert und seine Leute mussten die Gegend verlassen. Er hatte gemeinsam mit einem bosnischen Freund Zlatan Kovaćević die Organisation SOS Bihać aufgebaut.


Sie haben sicher von Planerts unglaublichen Einsätzen gelesen. Er hat es hinbekommen, in Bihać in all dem Durcheinander den Überblick zu bewahren: In diesem Wahnsinn aus Polizei, überlasteten Einheimischen, Tausenden flüchtenden Menschen, die sich auch nicht alle super verstehen – und EU-Politikern, an die er nebenbei auch noch konstant Infos und Hilferufe sendet. Dass er dafür sorgte, dass das Horrorlager auf der Mülldeponie Vučjak aufgelöst wurde, ist nur eins von vielen Beispielen seines Einsatzes. Er betreibt nonstop Schadensbegrenzung von Entscheidungen, die andere getroffen haben: Regierungen, Diktatoren, Europa, auch Deutschland.

Zum Glück ist sein Kumpel Zlatan noch vor Ort in Bihać. Er stammt aus der Stadt und hat weitergemacht, nachdem alle anderen gehen mussten. Zlatan kennt die Gegend. Er kennt die Wälder, in denen sich die Menschen verstecken, und die Köpfe der Einheimischen und der lokalen Politik. Ich schätze, dass sowohl Dirk als auch Zlatan ihr ganzes Geld in die Hilfe für die Menschen dort stecken. Treffen sie jemanden in Not, wird sofort geholfen, egal wie. Oft finden sie auf ihren Streifzügen durch die Wälder neben vielen flüchtenden Menschen auch bosnische Familien. Die in völliger Armut und Isolation leben. Ihnen besorgen sie selbstredend dann Grundnahrungsmittel und Kleider; auch ein Ofen wurde schon mal eingebaut.

Was es bedeutet, dass SOS Bihać jetzt eine von der IOM (Internationale Organisation für Migration, UN-Tochter) anerkannte Hilfsorganisation ist, lesen Sie unten in Planerts Report.


Organisationen wie zB das Aachener Netzwerk sammeln Spendengelder für Bihać. Die Kollegen aus Aachen haben außerdem einen Minibus für SOS Bihać gekauft, der Verletzte transportieren kann. Gerade ist eine Videokamera angekommen, um alles festzuhalten, denn Presse ist nicht mehr am Start.


Für die ungehörten Menschen in dieser absurden Sackgasse an unseren europäischen Grenzen muss es die Welt bedeuten, dass sich jemand für sie interessiert. Dass Leute wie Zlatan und Dirk und die anderen Helfer, die hier genauso gemeint sind, alles in Bewegung setzen, damit es für sie ein wenig besser wird. Ich kann nur ahnen, was diese Leute neben ihrer Zeit, Kraft und Beharrlichkeit alles noch so investieren.


Wer SOS Bihać unterstützt, tut was Sinnvolles. Diese Leute machen da unten eine so grandiose, gut durchdachte, routinierte und diplomatische Arbeit. Auf allen Ebenen: praktisch, psychologisch, politisch. Die ganze Zeit, unermüdlich, seit Frühjahr 2019. Ich habe es selbst gesehen.


Kristina Koch

So unterstützen Sie Zlatan und Co. von SOS Bihać, damit sie weiterhin Essen und Medikamente für die Menschen besorgen können.

Spendenkonto Nothilfe für Flüchtlinge in Bosnien:

Dirk Planert

DE 22 4416 0014 6605 0393 00

Betreff: SOS Bihac


Voilà der neueste Bericht von Dirk Planert.


Wir schlagen die, die wir brauchen

von Dirk Planert

In den Radionachrichten wird gerade von einer möglichen zweiten Welle durch die Urlaubsrückkehrer gesprochen. Draußen regnet es. Seit Stunden sitze ich an meinem Schreibtisch in Dortmund, schreibe Mails, telefoniere und rauche eine nach der anderen. Der Hund, der sich an das Leben im Lager und den Wäldern gewöhnt hatte, liegt schlafend an meinen Füßen. Der Leiter der Hilfsorganisation SOS Bihać, Zlatan Kovacević, hat gerade angerufen. „Wir fahren jetzt los“, sagte er. Dann kribbelt es bei mir. Das Team fährt jetzt in die Berge um Flüchtlinge zu versorgen. Ich wäre gern dabei, mein Sani-Rucksack hat bereits Staub an­ge­setzt. Geht aber nicht wegen Corona, also tue ich von hier aus, was zu tun ist. Tatort Schreibtisch. Immerhin sind wir sind nicht alleine. Mit Hilfe des Aachener Netzwerks sind wir gut über den Winter gekommen und ernähren täglich 200 bis 500 Menschen, versorgen sie medi­zi­nisch, verteilen bei Bedarf auch Kleidung und Schuhe. Mittlerweile sind wir eine von der IOM anerkannte Hilfsorganisation. Die IOM (Internationale Organisation für Migration) ist eine Tochter der UN. Die Anerkennung heißt für SOS Bihać: Wir können unbehelligt von Polizei und Grenzpolizei das tun, was sonst niemand darf: Die Flüchtlingsrouten entlang der EU Außengrenze abfahren und Menschen helfen. Das ist ein echter Durchbruch. Keine Probleme mehr mit der Polizei. Die bosnische Politik bemüht sich darum, humanitäre Arbeit zu kriminalisieren. Das geht nun nicht mehr, zumindest bei uns nicht. Zlatan ist ein großartiger Diplomat. Er hat unsere Gegner in Bihać zu Unterstützern gemacht. Selbst das Gesundheitsministerium schwärmt nun von SOS Bihać und lobt unsere Arbeit. Noch vor ein paar Monaten haben sie uns ständig die Polizei auf den Hals gehetzt. Bei allen Bemühungen sich an die Regeln zu halten: es kann nicht kriminell sein, Menschen zu helfen. Die Menschen­rechte sind auch von Bosnien anerkannt und unterschrieben worden.

Schon wieder klingelt das Telefon. Auf dem Display steht: „der Kleine“. Ich habe die Nase voll für heute, nach dem vergangenen Jahr bin ich manchmal etwas „durch“, aber bei ihm hebe ich ab. Es ist Ahmad (Name von der Red. geändert), mein kleiner Freund aus Vučjak, dem Camp auf der Müllhalde nahe Bihać. Seine Stimme klingt, als würde er aus dem Urlaub anrufen. Anders als sonst, sehr fröhlich: „Wie geht es Dir? Hier scheint die Sonne und ich bin grade mit Freunden unterwegs. Ich liebe Dich. Und ich vermisse Dich sehr. Hier ist alles gut jetzt.“ Er klingt, als sei er schon dort wo er hinwill, am Ziel, als sei wirklich „alles gut“. Geographisch ist er angekommen in der EU, aber die Abschiebung schwebt noch immer wie ein Damoklesschwert über ihm. Bis zum „alles ist gut“ wird noch Zeit vergehen, vielleicht viel. Vielleicht wird nie „alles gut“. Heute hat er Zuversicht. Die überträgt sich auf mich. Ein guter Anruf. Ich nehme wieder Schub auf und arbeite weiter. Wenn man weiß wofür, fällt es leichter.


Ahmad in der Ambulanz im Camp Vucjak im Sommer 2019. Die Arbeit als Übersetzer und Hilfssani machte ihm Freude. Trotz der Umstände haben wir viel gelacht, manchmal geweint.

Ahmad lebt jetzt in einer Flüchtlingsunterkunft in einer italienischen Großstadt. Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir uns kennen ge­lernt, an einem Ort der nach Müll und Fäkalien roch und der kurz darauf in internationalen Me­dien als Dschungel- und Horrorcamp Schlag­zeilen machte. Etwa 1000 Männer und Jungs lebten dort mit hoher Fluktuation. Tausende durchlitten dieses fürchterliche Elend mit dem Namen Vučjak. Der Älteste über 60, der jüngste 12 Jahre alt. Ahmad war 18, Flüchtling aus Pakistan, von der Polizei deportiert auf die Müllhalde. Er sprach mich mit schüchterner Stimme an, in leisem aber perfektem Englisch, deutlich besser als meines, und bat mich um Hilfe. Ich weiß nicht mehr was er brauchte, vermutlich Schuhe oder eine Behandlung in unserer Ambulanz. Ein hochintelligenter Junge, viel zu zart für all das. Ich holte ihn in unser Team. Er spricht Urdu und Paschtu, konnte also als Übersetzer helfen.


Ahmad übersetzt, als einer unserer Patienten erzählt, das die slowenische Grenzpolizei einen Hund auf ihn gehetzt hatte. Die Slowenen übergaben ihn an der Grenze den Kroaten, die trans­portierten den Mann dann an die EU Außengrenze und trieben ihn durch den Wald zurück nach Bosnien, raus aus der EU.

Einer unserer Mitarbeiter war Nationalspieler der pakistanischen Fußball­nationalmannschaft, beherrschte sieben Sprachen und war dazu auch noch ein auffällig schöner Mann. Ein älterer Mann, Gaz aus Kaschmir, war früher Geschäftsführer bei KFC. Er hat es nach Portugal geschafft. Alles Männer, die uns hervorragend im Ambulanzzelt unterstützten. Es dauerte nicht lange und Ahmad arbeitete selbst am Patienten und versorgte Schmutzinfektionen. Aus Österreich waren Dr. Karin Tschare-Fehr und der Künstler Arye Wachsmuth gerade da und wir arbeiteten gemeinsam in unserer Ambulanz. Wir schlossen ihn alle in unser Herz. Es sind Tausende, die mir in den vergangenen Monaten begegnet sind. Mit ein paar Dutzend ist der Kontakt geblieben, mit einigen sogar sehr eng. Wenn aus Flüchtlingen Freunde werden, dann habe ich aufgehört sie zu fotografieren. Die Nähe macht das. Das ist mir erst jetzt bei der Suche nach Fotos von Ahmad aufgefallen. Im Zelt bei der Arbeit blühte er auf, wir versorgten ihn in diesen Wochen mit allem Notwendigen. Er arbeitete und träumte davon Europa zu erreichen. Schlimm war für mich, ihn im Camp zurücklassen zu müssen und selbst abends duschen zu können und ein Bett zu haben. Es ging nicht anders. Seine Eltern hatten ihr Haus auf dem Land in Pakistan zu einem Spottpreis verkauft, um seine Reise finanzieren zu können. Jetzt leben sie in einer Lehmhütte am Rande einer Stadt. Sie haben ihn losgeschickt, damit wenigstens einer aus der Familie eine Zukunft hat und später Geld schicken kann. In Pakistan ist offiziell kein Krieg. Ich habe viele Pakistanis gefragt: „Warum tut ihr Euch diese Reise an?“ Es gab bei allen nur drei mögliche Antworten: Entweder flohen sie aus den Grenzgebieten zu Afghanistan vor den Drohnen der US-Army, weil ein oder mehrere Familien­angehörige durch sie getötet worden waren. Oder Flucht vor den Taliban. Die dritte: Kriege innerhalb von Familien. Meist geht es um Erbstreitereien, wenn Land hinterlassen wird. Obendrauf kommt dann noch Korruption ein­hergehend mit Chancenlosigkeit. Kurz: Flucht wegen Angst um Leib und Leben. Für diesen Text hatte ich noch ein paar Fragen an Ahmad und habe mit ihm gesprochen. Vor kurzem ist einer seiner Cousins ermordet worden.

Irgendwann versuchte er das erste Mal „the game“. Vorher gab es täglich Gespräche darüber. Ahmad hatte Angst vor dem, was vor ihm lag: Die kroatische und die slowenische Grenzpolizei. Was passieren kann, das sah er ja jeden Tag an den Prellungen, Platz- und Schnittwunden in unserer Ambulanz. Finanziert, gewollt und gefördert durch die Wölfe im EU-Parlament in Brüssel. Die Wölfe sind zwar in der Minderheit, aber der Rest sind Lämmer. Sie lassen die Wölfe gewähren. Einige wenige Mitglieder des EU-Parlamentes allerdings kämpfen, so viel sie können. Unter anderem sind das die MEPs Erik Marquardt (Grüne BRD), Dietmar Köster (SPD BRD) und Bettina Vollath (Sozialdemokratin aus Österreich). Alle drei waren in Bihać und haben sich selbst ein Bild der Lage gemacht.

Wenn Ahmad ein paar Tage unterwegs war, ging mein Blick oft in Richtung des Waldweges, der in die Berge führt. Ich begann mir Sorgen zu machen. Plötzlich stand er wieder vor mir und fiel mir förmlich weinend in die Arme. Wieder nicht geschafft, wieder von der kroatischen Grenzpolizei ausgeraubt und geschlagen. Nach weit über 10 Versuchen kam er einmal lachend zurück. Die Polizisten hatten eine Gasse gebildet, auf jeder Seite sechs EU-Grenzpolizisten mit Knüppeln. Die Flüchtlinge wurden illegal zurückgepusht nach Bosnien und mussten diese Gasse durchlaufen. Ahmad war der Schnellste. Nur ein Schlag hatte ihn am Unterschenkel gestreift. Er freute sich, dass sie nicht seinen Kopf getroffen hatten.

Als Vučjak dann aufgelöst wurde, trafen wir uns regelmäßig heimlich irgendwo in der Stadt. Er lebte versteckt in Ruinen und im Wald oder war unterwegs „on game“. Langsam begann er zu verwahrlosen. Mein Ahmad stank wie alle anderen. Nicht mehr nach Vučjak, aber nach Elend. Duschen ging nirgendwo. Hätte ich ihn in unser Teamappartment mitgenommen, wäre wenige Minuten später die Spezialpolizei gekommen. Das ist in Bosnien eine Straftat. Alles wäre vorbei gewesen. Das konnte ich nicht riskieren. In den Wäldern und Ruinen hätte ich ihn in dieser Zeit gut als Hilfssanitäter und Übersetzer gebrauchen können. Nicht nur ich.


In derselben Zeit, in der Ahmad sich innerhalb von nur 48 Stunden in die Arbeitsabläufe in unserer Feld-Ambulanz eingearbeitet hatte, war Gesundheitsminister Jens Spahn im Kosovo, um dort Fachkräfte aus Pflegeberufen abzu­werben. Die Ursache für viele Probleme, die Menschen in anderen Ländern haben, ist genau das: Kolonialismus. Wir holen uns was wir brauchen. Wer dann die Alten in den Heimen im Kosovo versorgt, das kann Spahn ja egal sein. Hauptsache, wir bekommen Fachkräfte, die uns fehlen. Dabei stehen viele, die es wollen und könnten, vor den EU-Außengrenzen und werden geschlagen, getreten, ausgeraubt, zurückgepusht ins Nirgendwo. Dutzende Flüchtlinge haben in unserer Ambulanz im Laufe der Monate mitgearbeitet. Voraussetzung: Grundkenntnisse in Englisch und schnell lernfähig. Bis zum Abschluss des B2-Sprachkurses in Deutsch­land würde etwa ein Jahr vergehen. Die Ausbildung zum Altenpflegehelfer dauert ein weiteres Jahr, zum Altenpfleger 3 Jahre. Ahmad ist jetzt 19, die meisten anderen bis höchstens 30 Jahre alt. Das, was ihre Ausbildung und ihre Versorgung zu Beginn kosten würde, würden sie später selbst wieder erarbeiten und durch Steuern praktisch zurückzahlen. Die Statistik der Agentur für Arbeit verzeichnet im Mai 2020 bundesweit 23.500 offene Stellen in der Altenpflege und 16.200 in der Krankenpflege. Eine andere Quelle spricht von 171 Tagen, die es durchschnittlich dauert, bis eine solche Stelle besetzt ist. Zurzeit gibt es in Deutschland 3,3 Millionen Pflegebedürftige, schreibt das Bun­des­gesundheitsministerium. Und es werden mehr. Die Prognose des Statistischen Bundesamtes für 2025: 110.000 Pflege­fach­kräfte, die uns fehlen werden. Wir brauchen Ahmad.

Ahmad mit dem Künstler und Flüchtlingshelfer Arye Wachsmuth aus Österreich in der Ambulanz. In Vucjak ist blei­bendes entstanden.

Arye Wachsmuth hat von Wien aus oft mit Ahmad gesprochen, seit er im November 2019 in Italien angekommen war. So blieb auch ich auf dem Laufenden. Wir haben beide eine Rolle in seinem Leben. Ab und an braucht man einen Menschen, der zuhört und einem die Hand auf die Schulter legt und sagt: „Junge, Du machst das alles schon richtig. Glaub an Dich. Du bist nicht allein. Du schaffst das“. Er braucht das, das spürt man. Das ist auch ok so.

Die Verwahrlosung des Flüchtlings ist verschwunden. Ahmad ist nun in Italien und hofft, bleiben zu dürfen. Ein Job würde ihm helfen.

Jetzt lebt er von 30 Euro wöchentlich, die er vom italienischen Staat bekommt. Nach seiner Ankunft haben wir ihm Geld geschickt für anständige Kleidung, damit er mit dem abge­rissenen Zeugs „from the game“ nicht so auffällt in Italien. Arye hat sogar einen Kontakt in besagter Großstadt, Leute, die Ahmad getroffen haben und ihm Dinge brachten, um die Arye gebeten hatte. Bis zum 14. Juni 2019 habe ich noch nie von einer Freundschaft gehört, die auf einer Müllhalde begonnen hat. Jetzt kann ich sie nicht mehr zählen. Viele der freiwilligen Helfer aus der Ambulanz halten Kontakte, teilweise sehr intensiv. Ahmad sagte in Vučjak einmal zu mir: „Mein Vater ist nicht da. Jetzt bist Du mein Vater. Ich möchte so leben wie Du. Irgendwo hingehen und gute Dinge für Menschen tun“. „Nein mein Freund“, habe ich gesagt. „Erst gehst Du studieren, lernst Deinen Beruf und baust ein Haus für Deine Familie. Dann kannst Du sowas tun“. Er hat sich gekrümmt vor Lachen und hat anderen das als Witz des Tages präsentiert.


Jetzt, so sagt er, werden selbst aus Italien Flüchtlinge bis nach Bosnien zurückgeschickt. Er bekomme Nachrichten von anderen Pakista­nis, die das belegten. Er selbst braucht dringend einen Job. Das erhöht die Wahr­schein­lichkeit, dass er seine Papiere bekommt, die ihm den Aufenthalt für mindestens ein Jahr sichern. Er ist seit November 2019 in Italien und bisher offensichtlich geduldet und mit dem Nötigsten vom Staat versorgt. Ein Freund von ihm hat einen Job bekommen. Schwarzarbeit für 800 Euro im Monat, ohne freie Tage bei 10 bis 12 Stunden täglich. Das ist ein Risiko. Ein Migrant bekomme keinen legalen Job, sagt Ahmad. Das ist auch in der Türkei und Griechenland so. Keiner will Flüchtlinge, zum Ausbeuten sind sie dann aber doch gut genug. Trotz allem hofft Ahmad weiter. Auch, dass sie ihn bleiben lassen. Vor ein paar Tagen hat er mir ein Video geschickt. Darauf sind seine Eltern, die Geschwister und die Lehmhütte zu sehen. „Sieh es Dir an“, sagt Ahmad. „Dann wirst Du verstehen, warum ich nicht zurück kann, sondern mich hier für meine Familie bemühen muss“.

Dirk Planert

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