Protestbrief der Flüchtlingsinitiativen und Organisationen gegen die Abschiebungen
Protestbrief
Gegen unmenschliche Abschiebungen aus Köln ohne Vorwarnung nach Grenzöffnung (im Zuge der Lockerungen der Reisebeschränkungen während der Covid-19-Pandemie) In unserer Stadt sind in der Nacht vom 22. auf den 23.6. 2020 zwei Abschiebungen nach Albanien durchgeführt worden. Diese Abschiebungen erfolgten einen Tag, nachdem die Grenze zu Albanien wieder geöffnet wurde. Der unausgesprochene Abschiebestopp während der Corona-Pandemie wurde ebenso unausgesprochen wieder aufgehoben, so dass die Menschen keine Möglichkeit hatten, sich vorzubereiten oder um Unterstützung nachzusuchen. Wir verwehren uns aufs Schärfste gegen diese unmenschliche Art, mit hilfsbedürftigen traumatisierten Menschen umzugehen und erwarten dazu zeitnah eine Stellungnahme von Stadt und Land.
Nun zu den Fakten:
1. Fall
Fr. P.*, 67, ist im Oktober 2018 nach Deutschland gekommen, nachdem sie unter den menschenunwürdigen und diskriminierenden Verhältnissen, denen ihre Volksgruppe in Albanien ausgesetzt ist, zu zerbrechen drohte. Fr. P. ist seit einigen Jahren herzkrank und gezeichnet durch ihr Leben als Romni in Albanien. Sie zählt aufgrund ihrer Erkrankung und ihres Alters zur Corona-Hochrisikogruppe.
Die Abschiebung erfolgte mitten in der Nacht. 6 städtische Beamte und eine Frau, die sich als Ärztin vorstellte, drangen in den Wohnbereich der 8-köpfigen Familie, bestehend aus Frau P., ihrem Sohn, der Schwiegertochter und deren 5 Kindern, ein. Allen Familienmitgliedern wurden die Handys abgenommen. Frau P. musste allein ihre Tasche packen. Wegen der Aufregung und nicht zuletzt aufgrund ihrer Herzkreislauferkrankung ging es ihr sehr schlecht und sie musste sich übergeben. Daraufhin musste die Schwiegertochter beim Packen helfen.
Nach 20 Minuten wurde Frau P. abgeführt, in ein Auto gesetzt und weggebracht. Die Kinder konnten sich nicht verabschieden, ein kleiner Enkelsohn lief noch hinter dem Auto her, er wollte die Oma zurückholen. Frau P. ist auf Medikamente angewiesen, die sie in Albanien aufgrund ihrer Situation nicht bekommen kann .
Seit der Abschiebung wohnt sie in der Einzimmerwohnung ihrer Tochter, in der außerdem ihr Schwiegersohn und die 5 Kinder der Familie leben. Die Enkelkinder hier in Köln sind seit dieser Nacht traumatisiert, sie zeigen Schlafstörungen und Rückzugsverhalten und leiden sehr unter der Angst, bald ebenfalls mitten in der Nacht abgeschoben zu werden.
Für die Familie kam das Ereignis auch deshalb so überraschend, weil alle Familienmitglieder, einschließlich der Großmutter, am 05. Juni 2020 eine Duldung bis zum 26.08. erhalten haben und der Anwalt des Sohnes von Frau P. mit der Ausländerbehörde im Gespräch war. Und auch wenn eine Duldung laut Gesetz lediglich die „Aussetzung der Abschiebung“ ist und mit der Abschiebung erlischt, so ist es für die Betroffenen immer schwer nachvollziehbar, warum ein Gültigkeitsdatum in einem offiziellen deutschen Ausweisdokument, nicht wirklich eine Gültigkeit darstellt. Bedauerlich ist zudem, dass sich außer der WiKu Mülheim bisher keine Institution um diese Familie gekümmert und nachgefragt hat, welche Unterstützung sie in ihrer Situation benötigt. Hier hätten wir uns mehr Unterstützung durch die zuständigen Sozialarbeiter*innen gewünscht.
2. Fall (soweit wir ihn zum aktuellen Zeitpunkt recherchieren konnten)
Fr. R, 26, lebte mit ihren beiden Töchtern, 8 und 2 Jahre alt, seit dem Frühjahr 2018 in Deutschland, in der städtischen Unterkunft am Blaubach. Die ältere Tochter besucht die 1. Klasse der Stephan Lochner Grundschule. Sie ist durch Gewalt und Abschiebungsängste so traumatisiert, dass sie nicht allein in der Schule bleiben kann. Deshalb durfte die Mutter mit der jüngeren Tochter während des Unterrichts in der Schule bleiben. Die Schul- und Lehrergemeinschaft kennt die Mutter als fürsorgend und zuverlässig. Frau R. ist alleinerziehend. Sie hat viel Gewalt erfahren und ist von ihrer Familie aus Albanien verstoßen worden, weil sie mit 17 Jahren Mutter geworden ist. Sie ist geschieden bzw. lebt in Trennung vom Vater der Kinder, der anscheinend in Belgien im Gefängnis sitzt. Durch den Kindsvater, aber auch den eigenen Vater, hat Frau M. in ihrem Leben viel Gewalt und Ablehnung erfahren. Die Mutter und die ältere Tochter sind in therapeutischer Behandlung, das jüngere Kind im Medizinischen Versorgungszentrum MEZ, die 8-jährige Tochter ist zusätzlich im heil- und kunsttherapeutischen Atelier Artig angebunden, wo die Familie sehr geschätzt wird. Frau Dr. Preß vom Atelier Artig zeigte sich äußerst betroffen, sie sieht aufgrund der psychischen Situation von Mutter und Tochter eine große Gefahr für beide. Die Lehrerin der Tochter ist ebenfalls sehr besorgt. Die Schule hat Geld gesammelt und der Familie zukommen lassen. * Die vollständigen Namen der betroffenen Personen sind der Stadt Köln bekannt. Aus datenschutzrechtlichen Gründen, werden sie hier nicht genannt. Alle sind äußerst betroffen, sowohl über das unmenschliche Vorgehen, als auch über die Umstände der Abschiebung. Frau R. hat wohl kurz vor der Entbindung des zweiten Kindes im Sommer 2018 eine Abschiebeanordnung erhalten, die ältere Tochter dann im Sommer 2019. Seit dieser Zeit sind einige ärztliche Gutachten erstellt und Schreiben vom Atelier Artig an die Stadt geschickt worden. Die Mutter hat kurz vor der Abschiebung eine erneute Duldung für ca. 2 Monate bekommen und auch das Geld für diese Zeit. Ihr wurden bei der Abschiebung 300 € gelassen, den Rest musste sie abgeben. Nach eigenen Aussagen kamen 20 Personen und haben die drei schutzbedürftigen Menschen in einer Nacht- und Nebelaktion mittellos und ohne jegliche Perspektive abgeschoben. In beiden Fällen gab es keine Signale seitens der Behörden, dass eine Abschiebung unmittelbar bevorstand. Dass Abschiebungen ohne Ankündigung stattfinden, ist zwar in § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG festgelegt, jedoch hätte man annehmen können, dass angesichts der besonderen Lage aufgrund der Corona-Pandemie die Abschiebeanordnungen für besonders schutzbedürftige oder mit gesundheitlichen Risiken behaftete Menschen, zumindest eine neuer Betrachtung unterzogen würden. In beiden Fällen liegen bedeutende gesundheitliche Risiken vor, in beiden Fällen handelt es sich um besonders schutzbedürftige Personen. In beiden Fällen handelt es sich um Personen, die sich rechtlich nichts haben zuschulden kommen lassen, die eher zurückhaltend, ja ängstlich sind.
Wir fordern:
1. dass beide Fälle aufgearbeitet werden und den Betroffenen ggf. erneut eine Chance in Deutschland gegeben wird;
2. dass die Stadt Köln keine nächtlichen Abschiebungen mehr durchführt;
3. dass die betroffenen Menschen immer eine Chance bekommen, ihre Situation zu klären;
4. dass bei allen behördlichen Maßnahmen menschenwürdige Regelungen gelten und eingehalten werden;
5. dass Stadt und Land sich von dieser Abschiebepraxis distanzieren und ein solches Vorgehen nicht mehr zuzulassen;
6. dass die Stadt bei drohender Abschiebung sicherstellt, dass die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, bei der Rückkehrerberatung (oder einer anderen Perspektivberatung) vorstellig zu werden.
Eine Stadt wie Köln, die sich der Initiative „sicherer Hafen“ angeschlossen hat, kann ein solches Verhalten nicht stillschweigend zulassen. Deshalb fordern wir alle politischen Fraktionen im Stadtrat und die Oberbürgermeisterin auf, dieses Vorgehen der Behörden zu hinterfragen und nicht mehr zuzulassen. Artikel 1, Abs. 1 des Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, muss auch hier gelten.
Wir fordern nachdrücklich: Keine Abschiebung in die Schutzlosigkeit und schon gar nicht in Zeiten von Covid-19!
Mit-Unterzeichnende: Kölner Flüchtlingsrat, Köln zeigt Haltung, Agisra, Rom e.V., AK Politik, AG Bleiben, In-Haus -Integrationshaus e.V.; W. Uellenberg van Dawen Sprecher des Kölner Runden Tisches für Integration, WIRO- Willkommrn in Rondorf, Willkommen in Brück & Neubrück, ökumenische Flüchtlingshilfe Dellbrück/Holweide, Flüchtlingshilfe Zündorf/Ensen, Willkommensinitiative Cafe i, Weiler/Lövenich, WinHaus, Willkommen in Nippes, Willkommen in Braunsfeld
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