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Presseartikel: Schlechte Aussichten für Geflüchtete

Zeit.de

11. Juni 2020

Arbeitsmarkt

Die Corona-Krise trifft am Arbeitsmarkt eine Gruppe am härtesten: die Geflüchteten. Viele haben in den vergangenen Monaten ihre Jobs verloren. Das zeigen neue Zahlen.


Die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt sind gar nicht so schlimm? Wer das denkt, ist wahrscheinlich kein Flüchtling ( https://www.zeit.de/politik/2020-04/coronavirus-pandemie-deutschlandeuropa-eu-grenzen-asylrecht-ivan-krastev ). Denn in dieser Bevölkerungsgruppe haben in den vergangenen zwei Monaten besonders viele Menschen ihre Jobs verloren. Keine andere Gruppe ist am Arbeitsmarkt härter von den Folgen der Wirtschaftskrise betroffen. Das zeigen neue Zahlen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ermittelt hat. Demnach stieg die Zahl der Arbeitslosen unter Menschen mit ausländischem Pass im März und April viermal so stark wie unter denen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Und bei den Ausländern wiederum verloren weit überdurchschnittlich oft die Geflüchteten ihre Jobs.

Weil die jeweiligen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich groß sind, schauten die IAB-Experten nicht nur auf die Zahl der neu hinzugekommenen Arbeitslosen, sondern setzten sie ins Verhältnis zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der jeweiligen Gruppe.

Das Ergebnis: Bei den Deutschen stieg die Zahl der Arbeitslosen in den vergangenen zwei Monaten um rund ein Prozent, bei den Beschäftigten mit ausländischem Pass um fast vier Prozent. Eine weitere Auswertung zeigt, dass Menschen, die aus den typischen Flüchtlingsherkunftsländern kommen, am stärksten vom Jobabbau während der Pandemie betroffen sind. Während etwa die Arbeitslosigkeit bei Ausländern mit einem EU-Pass nur um 0,9 Prozent zunahm, stieg sie bei den Menschen aus den Kriegs- und Krisenländern um 5,1 Prozent.  Offenbar haben Polen oder Rumänen andere Jobs und sind weniger von der Krise betroffen als Syrer oder Afghanen. "Um die Geflüchteten mache ich mir in dieser Krise die meisten Sorgen", sagt Herbert Brücker, Migrationsexperte am IAB. "Ich hatte erwartet, dass in diesem Jahr die Hälfte derjenigen, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, in Arbeit sein würden. Aber dieses Ziel werden wir nicht mehr erreichen." In den vergangenen Jahren war zwar schrittweise mehr Geflüchteten der Einstieg in den Arbeitsmarkt gelungen. Dennoch lebten im Februar 2020 noch immer 58 Prozent aller Menschen aus Kriegs- und Krisenländern, also beispielsweise aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak, von Hartz IV. Und jetzt droht die Krise den Trend der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt wieder umzukehren.

"Das ist sehr schlimm für die Menschen, die nun schon seit fünf Jahren in Deutschland sind und noch überhaupt nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen sind. Viele mussten lange auf einen Sprachkurs warten, da hat sich vieles verzögert, und nun kommt auch noch die Krise dazwischen und sie werden noch einmal Jahre warten müssen, bis sie eine Chance haben", sagt Brücker. 

  

Kein Homeoffice möglich

Der Grund dafür, dass Migranten viel stärker als Deutsche in diesem Wirtschaftsabschwung von Arbeitslosigkeit betroffen sind, liegt offenbar in unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten. Besonders viele Stellen wurden in den vergangenen zwei Monaten im Bereich der manuell ausgeübten Tätigkeiten gestrichen, hat Brücker festgestellt. Sie können nicht im Homeoffice ausgeführt ( https://www.zeit.de/2020/25/homeoffice-buero-flexible-arbeitdigitalisierung-coronavirus ) werden. So stieg die Arbeitslosigkeit in Berufen aus dem Gastgewerbe, in Reinigungsberufen oder im Bereich der Sicherheitsdienstleistungen besonders stark. Weil ausländische Arbeitskräfte in diesen Branchen besonders oft eine Beschäftigung gefunden haben, sind sie nun am stärksten von Entlassungen betroffen.

Besonders häufig verloren in den vergangenen zwei Monaten außerdem Menschen ihre Jobs, die ohne berufliche Qualifizierung beschäftigt sind. Auch hier sind ausländische Arbeitnehmer überrepräsentiert: Von ihnen sind 44 Prozent als Hilfsarbeiter beschäftigt, während es bei den Deutschen nur knapp 20 Prozent sind. Hinzu kommt laut Brücker noch, dass Geflüchtete meist unterdurchschnittlich lange in ihrem jeweiligen Betrieb angestellt sind – und deshalb als erste eine Kündigung erhalten. Und dass sie häufiger als Inländer bei kleinen Betrieben beschäftigt sind, die weniger Puffer haben, um eine Krise durchzustehen.  Was könnte man tun, um ihre Chancen auf eine Beschäftigung zu erhöhen – außer auf ein Konjunkturprogramm zu hoffen? "Da muss man natürlich auf das verweisen, was immer sinnvoll ist, also Sprach- und Integrationskurse und Bildungsangebote", sagt IAB-Experte Brücker, "aber das kann die Auswirkungen der Krise kurzfristig nicht kompensieren". Mit anderen Worten: Die Aussichten für Geflüchtete bleiben düster.


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