Online-Pressekonferenz: 5 Kölner Träger von Flüchtlingsberatungsstellen äussern sich zur Lage
Agisra e.V. / Denise Klein und Elahe Sadr / 0176 65393556
Kölner Flüchtlingsrat e.V. / Claus-Ulrich Prölß / 0171 7992647
Diakonisches Werk Köln und Region gGmbH / Annette de Fallois / 0176 62500472
Rom e.V. / Nicola Markgraf / 0179 2436906
Caritasverband f.d. Stadt Köln e.V. / Susanne Rabe-Rahman / 0178 9094714
Pressekonferenz vom Mittwoch, den 24.02.2021, 13:00 Uhr
Unser Forderungskatalog an Politik und Verwaltung
• Fristgerechte postalische Verlängerung der Aufenthaltspapiere und Ausbau der Abstimmung zwischen Ausländeramt und Sozialbehörden, damit es nicht zu einer Unterbrechung der Zahlung von Leistungen kommt.
• Schaffung einer guten telefonischen Erreichbarkeit von Behörden, sowie Möglichkeit der persönlichen Beratung in spezifischen Einzelfällen
• Finanzierung der Ausstattung mit elektronischen Medien zur Unterstützung des (außer-)schulischen Lernens für alle Geflüchteten mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung, die Sozialhilfe (AsylbLG) erhalten
• Sofortiger weiterer Ausbau der W-Lan-Verbindungen in Unterkünften, damit digitales Lernen und Aufrechterhaltung von Kontakten in eigenen Räumen tatsächlich möglich ist
• Schnelle Auflösung aller Unterkünfte ohne abgeschlossene Wohneinheiten
• Sicherstellung des Zugangs zu Wohnheimen für Fachkräfte und ehrenamtliche Helfer*innen – unter Nutzung angemessener Schutzregelungen
• Berücksichtigung der Auswirkungen der Pandemie bei humanitären Aufenthaltsentscheidungen (Voraussetzungen bzgl. Sprachkurse, Ausbildung oder Arbeitstätigkeiten, Vorlage erforderlicher Identitätsdokumente)
• Persönliche Zeugenanhörungen durch die Polizei – mit Hilfe von Sprachmittler*innen - statt bloßes Übersenden von auszufüllenden Formularen in Fällen häuslicher Gewalt oder anderer strafrechtlich relevanter Verletzungen
• Sicherstellung der Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung – und humanitär angemessener Umgang mit Personen, deren Antrag auf Grund der Pandemie nicht fristgerecht bearbeitet werden kann
• Aussetzungen der Abschiebungen in Zeiten der Pandemie
1. Eingeschränkte Erreichbarkeit von Behörden
Die pandemiebedingt eingeschränkte Erreichbarkeit der kommunalen Ämter stellt für die Geflüchteten ein riesiges Problem dar. Normalerweise ist der direkte Kontakt zu den Behörden unumgänglich: zum Ausländeramt, um den Aufenthalt zu klären / zu verlängern, zum Jugendamt, um z.B. eine Vaterschaft anerkennen zu lassen; zum Standesamt, das viele Dokumente zur Ausstellung einer Geburtsurkunde braucht, zu Sozialamt oder Jobcenter, auf die man zur Sicherung des Lebensunterhaltes mindestens vorübergehend angewiesen ist… Aber jetzt soll die erforderliche Kommunikation weitgehend schriftlich geführt werden. Der digitale Weg scheitert bereits oft daran, dass die Betroffenen nicht die technischen Voraussetzungen haben (freies W-Lan, Mailadresse, Kompetenzen im Umgang mit online Anwendungen), andererseits ist die schriftliche Verständigung bei noch eingeschränkten Kenntnissen der deutschen Sprache sehr viel schwieriger als im persönlichen Kontakt. Zudem sind die persönlichen Kontaktdaten der zuständigen Sachbearbeitenden in der Regel nicht bekannt. Die Kommunikation ist erschwert und bricht manchmal ganz ab. Ohne beratende Unterstützung ist es für Geflüchtete aktuell kaum möglich, wichtige Angelegenheiten mit den Behörden zu klären.
Problematisch ist die Lage in den Bezirksausländerämtern: Die telefonische Erreichbarkeit ist in vielen Fällen nicht gegeben, selbst E-Mails oder Briefe bleiben oft unbeantwortet und es kommt vor, dass der Aufenthalt ausläuft und die Menschen kein gültiges Papier mehr haben, obgleich sie sich darum bemüht haben. Das hat schwerwiegende Folgen: Das Jobcenter oder die Elterngeldkasse stellen z.B. Zahlungen ein, der Arbeitgeber beschäftigt seine Mitarbeitenden plötzlich ohne grundlegende Genehmigung, also „illegal“. Finanzielle Notlagen und weitere Schwierigkeiten sind vorprogrammiert.
2. Benachteiligung im Rahmen von (Aus-)Bildung und Beschäftigung
Bildung ist maßgeblich für individuelle Lebenschancen – ein Bürger*innen- und Menschenrecht!
Die Auswirkungen des Corona-Lockdowns verschärfen die Bildungssituation für Geflüchtete in Köln:
Pandemiebedingter Distanzunterricht ist nur dann möglich, wenn digitale Endgeräte zur Verfügung stehen. Leistungsempfänger des Asylbewerberleistungsgesetz, d. h. Geflüchtete mit Duldung oder Aufenthaltsgestattung, haben keinen Anspruch, diesen Mehrbedarf geltend zu machen. Die digitale Sofortausstattung aller Kölner Schulen, um insbesondere benachteiligten Schüler*innen digitale Endgeräte zur Verfügung zu stellen, erfolgt nur schleppend. Selbst wenn digitale Endgeräte bereitgestellt werden, fehlen Voraussetzungen, um Bildungsangebote wie Schulunterricht für Kinder, Deutsch- und Integrationskurse für Erwachsene, Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote – auch während staatlich anerkannter Ausbildungsmaßnahmen – wahrzunehmen. Es fehlen der freie WLAN-Zugang, die notwendigen räumlichen Möglichkeiten, die entsprechende digitale Kompetenz, die erforderliche Sprachkompetenz und die hilfreiche Alltagsstruktur. Auch die mangelnde soziale Einbindung ist hierbei ein Hemmnis. Durch Corona und die wirtschaftliche Entwicklung ist die Integrationsförderung sehr deutlich reduziert, d. h. Ausbildungs- und Arbeitsangebote sowie Beratungs- und Qualifizierungsangebote durch die Agentur für Arbeit und das Jobcenter sind deutlich reduziert oder fehlen. Insbesondere Angehörige der Minderheit von Roma sind hier verstärkt betroffen durch schon früher jahrelang stattfindende extreme Benachteiligung im Schul- und Ausbildungssystem, strukturelle Diskriminierung – auch nach wie vor im Unterricht und in der Schule. 70 % der langzeitgeduldeten Menschen in Köln sind Roma.
3. Psychosoziale Folgen und Stress-Situationen für Betroffene
Die Folgen der Kontakteinschränkungen wirken sich sehr unterschiedlich auf die psychische und emotionale Verfasstheit der einzelnen Menschen aus. Beengte Wohnverhältnisse, aufenthaltsrechtliche Unsicherheit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, schlechte technische Ausstattung, prekäre finanzielle Ausstattung, Gewalt- und Fluchterfahrungen sind Faktoren, die viele der Ratsuchenden in unseren Beratungsstellen besonders belasten.
Viele der Menschen, die zurzeit Kontakt zu unseren Beratungsstellen suchen, erleben unter den Lockdown-Bedingungen erneut extreme Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit. Die gesellschaftliche Angst, Ohnmacht und Verunsicherung in der Krisenzeit und der plötzliche Mangel (zu Anfang des Lockdowns) wecken Erinnerungen an Ereignisse aus Krieg und Verfolgung. Für Geflüchtete, die aufgrund von Gewalterfahrungen unter Traumafolgesymptomen leiden, verstärken sich Angst und Anspannung.
Sinnstiftende und strukturgebende Angebote wie Schule, Deutschkurse, Arbeit, aber auch Treffen mit Menschen aus der eigenen Community oder religiöse Zusammenkünfte, die Halt geben können, sind weggebrochen. Die Teilhabemöglichkeiten sind sowohl für die Kinder als auch für die Eltern stark eingeschränkt. Sie berichten von Gefühlen der Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit, Unruhe, Angst und Überforderungen. Beengte Wohnverhältnisse tragen dazu bei, dass Familienmitglieder „sich nicht aus dem Weg gehen können“ und problematische Familienkonstellationen zu eskalieren drohen. Gefühle der Unruhe und Anspannung sind sehr hoch und werden zunehmend gegen sich selbst (Suizidgedanken, Depression, zunehmender Suchtmittelgebrauch etc.) oder gegen andere gerichtet (Partnerschaftsgewalt und Gewalt gegen Kinder).
4. Situation in Gemeinschaftsunterkünften
Ende 2020 lebten nach aktuellen Angaben aus dem 30. Flüchtlingsbericht der Stadt Köln insgesamt 6.176 Geflüchtete, darunter rd. 40% Minderjährige, in vom Amt für Wohnungswesen zugeteilten Unterbringungseinrichtungen, davon mindestens 1.235 Personen (20%) in sog. Gemeinschaftsunterkünften und weitere rd. 555 Personen (9%) in sog. Beherbergungsbetrieben. Von April 2020 bis Januar 2021 wurden nach Angaben der Stadt Köln gegenüber 2.796 Geflüchteten Maßnahmen zur Quarantäne oder Schutzisolierung angeordnet, die meisten von ihnen lebten in nicht-abgeschlossenen Wohneinheiten.
Das Leben geflüchteter Menschen ist grundsätzlich stark durch nicht erfüllte Bedürfnisse, durch erlebte Menschenrechtsverletzungen sowie durch Perspektivlosigkeit und Unsicherheiten geprägt. Gerade in Gemeinschaftsunterkünften, die nach einer Studie der Universität Bielefeld potentielle (und wie wir wissen, auch tatsächliche) Hotspots für CoronaInfektionen darstellen, führt dies regelmäßig zu einer Zunahme der ohnehin vorhandenen physischen, psychischen, sozialen und organisatorischen Probleme. Durch die seit rd. einem Jahr andauernde Corona-Pandemie und die mit ihr einhergehenden Einschränkungen (Besuchsverbote), Kommunikationshemmnisse (Behörden) und Benachteiligungen (Bildung) werden diese Probleme noch mal deutlich verstärkt.
In den Gemeinschaftsunterkünften kulminieren die mannigfaltigen Problemlagen. Gerade Familien mit Kindern leiden in der Corona-Krise noch mal ganz besonders unter oftmals sehr beengten Wohnverhältnissen, Kontaktsperren, Isolation, allgemeinen Quarantäneanordnungen für ganze Einrichtungen und häufig mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten. Zudem führen die Einschränkungen bei den Zugängen zu Behörden zu weiteren Unsicherheiten.
5. Familienzusammenführung und Abschiebungen
Aktuell kommen wenig Geflüchtete nach Deutschland, weil Behörden auch im Ausland eingeschränkt arbeiten, die Grenzen stark kontrolliert werden und Europa „abgeschottet“ ist.
Menschen, die auf Familienangehörige – Eltern (bei UMF), minderjährige Kinder oder Ehegatten warten – sind besonderen Belastungen dadurch ausgesetzt, dass Dokumente in Herkunftsländern noch schwerer beschafft werden können, deutsche Botschaften und Konsulate geschlossen sind oder nur sehr eingeschränkt arbeiten. Das verzögert die ohnehin lang andauernden Verfahren um weitere Monate und Jahre. In Einzelfällen kann das bedeuten, dass der Familiennachzug gar nicht mehr gelingt, weil Verfahrensfristen ablaufen und neue Anträge gestellt werden müssen. Der unbegleitete minderjährige Flüchtling hier darf z.B. seine Eltern nicht mehr nachholen, wenn er volljährig geworden ist. Ein Kind im Herkunftsland, dass noch vor der gelungenen Antragstellung und Registrierung deutlich älter oder volljährig wird, kann evtl. keine Erlaubnis zur Einreise mehr erhalten (das gilt besonders für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz). Der Stress für die betroffenen Familien ist immens, es ist ihnen nur sehr schwer möglich, sich auf ihre Integration in Deutschland zu konzentrieren.
Abschiebungen aus Deutschland, z.B. nach Afghanistan oder Pakistan, aber auch in viele andere Länder, finden jedoch weiterhin statt (!) – trotz u.a. grassierender Pandemie im Herkunftsland. Auch der Umgang mit Dublin-Rückführungen in europäische Herkunftsländer ist seitens des BAMF noch nicht geregelt worden. „Überstellungen“ sollen stattfinden – unabhängig von der pandemischen Lage des Landes und weiteren Grenzregelungen – und übrigens auch immer noch nach Griechenland.
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