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AutorenbildWillkommen in Nippes

Interview: K. Koch v. WiN mit Aachener Netzwerk f. human. Hilfe u. interkulturelle Friedensarbeit




Interview: Kristina Koch

Kristina Koch ist in Köln aktiv, genauer gesagt: in Nippes. Nicht nur durch die geo­grafische Nähe hat sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen unseren Vereinen entwickelt. Grund genug, sie näher zu befragen.

Helmut Hardy (HH): Kristina, euer Verein heißt „Will­kommen in Nippes“. Wo ist denn Nippes? Wer ist „Willkommen“? Und wieso nicht „Willkommen in Köln“? Kristina Koch (KK): Nippes ist ein Stadtbezirk von Köln. Nicht weit vom Zentrum entfernt. Urkölsch und multikulturell zugleich. Ab Ende 2014 wurden dort viele Geflüchtete unter­gebracht. In Nippes gab es über ein Dutzend Notunterkünfte. Eine davon eine Turnhalle. Heute ist noch eine Unterkunft davon bewohnt. Daraufhin gründeten 2015 einige engagierte Privatpersonen die Initiative „Willkommen in Nippes“, kurz WiN. Ich bin kurz danach hinzugekommen. Wir waren zunächst Anlauf­stelle für die neuen Bewohner im Viertel. Haben uns in Cafés getroffen, privat oder im Park – wie so viele andere Willkommensinitiativen auch. Wir sind auch in die Camps gegangen und haben dort Beratung und Sprachkurse durchgeführt. Mich hat z.B. diese Turnhallen­unterkunft mit 200 Männern echt fertig gemacht. Mir war es wichtig, dass diese Leute genug Infos und Kontakte bekommen, um schnell da raus zu kommen und ihren Weg zu gehen. Und jemanden haben, der ihnen zuhört. Einer der Bewohner, mehrfacher syrischer Meister im Karate, hat Anschluss in einem Nippeser Karate-Verein gefunden und ist schon Dritter bei den Deutschen Meisterschaften geworden. So was wäre ohne Kontakt und Interesse nie geschehen. Und wir haben noch mehr solcher Geschichten… Andere der früheren Turnhallen-Bewohner*innen gehören zum Willkommen in Nippes-Team, auch wenn sie schon lange nicht mehr in Nippes leben. HH: Ihr habt ein eigenes Haus – kostet das nicht Unsummen? KK: 2017 hat uns die evangelische Gemeinde Köln-Nippes sehr schöne Räumlichkeiten überlassen, das WiNHaus International. Das ist das Herz der Initiative, wo alle Fäden zusammenlaufen. Eine zweistöckige Wohnung mit vielen Räumen zum Lernen, für Gespräche, Ruhe oder zum Feiern, mit Balkonen, Küche, Fahrradwerkstatt, Spendenlager und vielem mehr. Wir – die neuen und alten Nachbar*innen – betreiben das Haus wie eine WG. Die Kooperation mit der ev. Gemeinde ist ein großes Glück, sie unterstützt uns auch finanziell und noch auf anderen Ebenen. Mittlerweile werden unsere Angebote von Leuten aus ganz Köln und manchmal aus anderen Städten genutzt. Nicht nur von geflüchteten Menschen, auch von anderen, die sich orientieren wollen und Hilfe brauchen. Wir setzen uns für die Rechte und die Menschen­würde von Geflüchteten und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ein. HH: Habt ihr Pläne für die nähere Zukunft? KK: Wir planen in der Tat schon wieder was Neues. Wir haben sehr viel gelernt in den Jahren und würden unsere Angebote und auch die Zielgruppe gerne noch weiter öffnen. Von einigen Geflüchteten kam der Wunsch, etwas zurückzugeben. Deshalb steht gerade ein Projekt an, das zwar weiterhin Menschen mit und ohne internationale Geschichte zusammen­bringen soll. Wir wollen jedoch das System Helfer und Geflüchtete aufbrechen. Und gemein­sam etwas auf die Beine stellen, an dem jeder teilhaben kann. Dann kann es auch gern „Willkommen in Köln“ oder einfach nur „Willkommen“ heißen. Der Gedanke ist, Raum für Diversität zu schaffen. Wir haben als Gemein­schaft so viele verschiedene interes­sante Ressourcen und Perspektiven. Diese Diversität zu nutzen und zu leben ist unser Wunsch und soll der Inhalt des neuen Projekts sein. Jetzt suchen wir eine zentrale Immobilie und Unterstützer, die uns bei der Finanzierung helfen. Freue mich über Ideen! HH: 2015 waren „alle Flüchtlinge“ will­kommen. Seitdem hat sich viel getan. Kannst du gewisse Phasen feststellen und beschreiben? KK: Ein Einschnitt war diese Silvesternacht in Köln. Danach hatte man alle, aber insbe­sondere Nordafrikaner, kritischer beäugt. Bei WiN haben wir davon nichts gemerkt, aber ich glaube, das hat der Willkommenskultur einen Knacks verpasst. Die EU setzt heute viel stärker als 2015 auf eine Abschottung ihrer Außengrenzen. Immer wieder beschließen die Staats- und Regierungs­chefs, die Grenzen für Flüchtende undurchlässiger zu machen. Das Ziel der gemeinsamen Migrationspolitik ist Abwehr. So kommen natürlich kaum noch Menschen bei uns an. Stattdessen hängen sie auf dem Mittel­meer, auf den griechischen Inseln und auf der Balkanroute fest. Dass sich in den elenden Lagern an den EU-Außengrenzen nichts tut, ist ganz bewusste und offensichtlich gestaltete Abwehr. Da werden einschlägige Konventionen und europä­isches Recht verletzt. Die deutsche Regierung wartet auf eine “europäische Lösung”, während sie die humanitäre Notsituation der Menschen ignoriert. Dass man überhaupt die Aufnahme der paar Dutzend Kinder aus Griechenland in NRW erwähnen muss, ist beschämend. Also das Gegenteil von 2015. Auf „Willkommen in Nippes“ hat sich diese Entwicklung auch ausgewirkt: Wir haben einen Förderverein gegründet, damit wir z.B. Fundraisings durchführen und auch an den internationalen Hotspots helfen können. Wir haben ein Ärzteteam auf Samos unterstützt. Projekte für Idlib/Syrien und Bihać/Bosnien haben wir auch durchgeführt. Alles, was in Köln geht, nehmen wir natürlich auch mit: Im Juli waren wir Mitgestaltende einer Leave No One Behind-Aktion mit Offenem Brief an den deutschen Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft.


HH: Wie haben sich eure Angebote verändert? Was habt ihr 2015 angeboten, was heute? KK: Viele unserer Angebote von damals existieren noch heute. Zum Beispiel ist unsere Beratung mit Rechtshilfe nach wie vor sehr gefragt. Es sind neue Themen dazu gekommen: Neben Asylverfahrensthemen geht es jetzt auch mal um Inkasso- oder Steuer­sachen. Die Form der Sprachhilfe hat sich verändert: Deutschkurse haben sich zu Sprachpatenschaften entwickelt: also private Nachhilfe, Sprachtandems und Vorbereitungen auf spezielle Prüfungen: Zwei unserer ehren­amt­lichen Lehrerinnen haben sich auf medizinische Fachprüfungen spezialisiert. Auch kleine Runden, in denen nur geredet wir, sind beliebt. Was einerseits zeigt, dass die Leute glücklicherweise in Schulen oder Ausbildungen stecken. Aber auch, wie wenig Optionen sie haben, außerhalb der Schule Deutsch zu sprechen. Irgendwo in unserem Haus sitzen jedenfalls immer Leute, die irgendwas lernen. Neuerdings boomen auch Englisch- und Mathe-Nachhilfe. Neu dazugekommen sind (kostenlose) Arabisch­kurse – geleitet von einem Iraker und einem Syrer. Die machen viel Spaß und vermitteln auch Einblicke in die arabische Kultur. In schulischen Lockdown-Zeiten ermöglichen wir Kindern aus Notunterkünften ohne Internet, ihre Hausaufgaben und Online-Unterricht bei uns im Haus zu machen. Die Themen Jobs und Wohnungen werden wohl ewig wichtig bleiben. Unsere Wohnungs­gruppe hat trotz Wohnungsmangel in Köln über 300 Menschen aus den Notunterkünften geholt. Abgesehen von der reinen Wohnungssuche begleiten wir jeden vermittelten Mieter auch nach der Anmietung weiter, da gibt es immer was zu tun. Aktuell wollen viele ihre Wohnungen wechseln, weil die Familien nachziehen. Unsere Freizeitangebote sind nicht mehr ganz so angesagt. Früher war unser Haus abends brechend voll. Wir haben wir mehrmals wöchentlich gekocht, gespielt und Partys gefeiert. Da ging es teilweise hoch her. Kurdische Kreistänze, guineischer Breakdance und so weiter. Ich deute es mal als gutes Zeichen, dass das ein wenig zurückgegangen ist, und hoffe, dass solche Treffen nun auch in neu gefundenen Freundeskreisen stattfinden. HH: Sind die Helfer:innen die gleichen wie damals? Oder hat sich auch hier viel geändert? KK: Wir sind heute weniger Helfer. Aber dafür ist es ein harter, verlässlicher Kern. Wir haben uns – wie viele andere bestimmt auch – oft gefragt, woran das liegt. Es hat sicher mit politischen Stimmungs­strömungen zu tun. Und damit, dass das Thema in den Medien nicht mehr so stattfindet. So als ob es gar keine Geflüchteten mehr gäbe oder jetzt alles in trockenen Tüchern wäre. Diese Berichte über Geflüchtete, die eine Ausbildung als Bäcker oder so machen, klingen als ob sie alle super im Leben stünden. Als ob es für uns nichts mehr zu tun gäbe. Dabei ist der Bedarf an Unterstützung groß. Allerdings sind die Anliegen der Geflüchteten natürlich komplexer geworden. Die Engagierten müssen sich mit ihrem Gegenüber richtig auseinander setzen. Vielleicht ist das auch ein Grund für die Zurückhaltung der Helfer. Wenn man jetzt jemanden begleiten möchte, wird man möglicherweise mit kniffligen Themen kon­frontiert. Das reicht von der Begleitung beim Kampf gegen eine Abschiebung über Familien­zusammenführung bis zur Suche nach einem Ausbildungsplatz oder einer Psychotherapie. Das kann Zeit und Nerven kosten. Es ist zugleich aber eine sehr befriedigende Aufgabe – und man setzt sich so auch der politischen Stimmung entgegen und fördert das Miteinander in unserem Land. HH: Wie habt ihr Kontakt zum Aachener Netzwerk bekommen? KK: Ich habe eine enge Verbindung zu Bosnien-Herzegowina, habe mal eine Weile in Sarajevo gewohnt. Letzten Sommer fuhr ich nach Bihać, um mir anzusehen, worüber Dirk Planert und andere Helfer berichteten, und um einige Sachen nach Vučjak zu bringen. In der kleinen Stadt Bihać hatte ich schon häufig Urlaub gemacht. Und ich konnte mir vorstellen, wie hart es für die vielen Geflüchteten und wie einschneidend es für die Bewohner von Bihać sein musste, dass dort viele Geflüchtete gestrandet waren – mit wenig Hoffnung auf eine Lösung. Über den Kontakt zu Dirk Planert habe ich dann vom Aachener Netzwerk erfahren und auch von den Spendenaufrufen. Da macht Willkommen in Nippes natürlich direkt mit. So habe ich auch über die anderen Aktivitäten des Aachener Netzwerks gehört. Dass es sich gerade in der Gegend, die auch mir sehr am Herzen liegt, so sinnvoll und lebensnah engagiert, freut mich sehr.


Mittlerweile hat sich Willkommen in Nippes an zwei Hilfstransporten beteiligt und ist sogar stolzer Partner des Aachener Netzwerks geworden. Ich hoffe, dass wir uns in Zukunft weiter einbringen können. HH: Habt ihr Ideen für eine weitere Zusammenarbeit? KK: Wir sind auch in Zukunft dabei, wenn Hilfstransporte geschickt werden und machen auf Eure Projekte und Spendenaufrufe aufmerksam. Ich fände es auch schön, wenn wir uns an eurer Ausstellung beteiligen könnten. Vielleicht könnte das WiNHaus die Kölner Location werden, wenn die Ausstellung wandert. Außerdem könnt Ihr gern Leute an uns verweisen, die zum Beispiel aus Aachen nach Köln ziehen und Unterstützung brauchen. Im Internet findet man Willkommen-in-Nippes unter https://www.willkommen-in-nippes.de/ sowie bei Facebook.

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